Claudio Righetti im Gespräch mit Amanda Lear
Getroffen im Chalet Muri
Chalet Muri-Gastgeber Claudio Righetti unterhält sich mit der weltberühmten Künstlerin und Sängerin Amanda Lear über Talente, Salvador Dali und Künstliche Inelligenz.
Liebe Amanda, du bist eine polivalente Künstlerin – Malerin, Sängerin, Theaterschauspielerin, Autorin – wie wichtig ist für dich kreative Vielseitigkeit?
Die Leute sind sehr misstrauisch gegenüber Multitalenten, weil sie dir gerne ein Etikett anheften, wie: der ist Maler, die ist Sängerin, der schreibt – aber wenn du sagst, dass du alles kannst, werden die Leute skeptisch und sagen, das ist unmöglich, du kannst nicht für alles ein Talent haben. Und das stimmt! Ich denke, dass ich etwas Talent für das Malen und als Theaterschauspielerin habe. Ich habe auch Bücher geschrieben und Fernsehsendungen moderiert, das kann ich ebenfalls machen – aber nicht 100% gut. Ich denke, dass das Malen mein erstes Talent ist.
Ein weiteres Talent von dir ist, ganz offensichtlich, dein Gespür für Kommunikation …
Ja, das stimmt (lacht). Weil ich mich gerne verzweige, nutze ich alle Mittel, die mir zur Verfügung stehen, um zu kommunizieren. Ich bin gut darin, im Fernsehen oder in Zeitungen Ideen zu vermitteln, lustige oder witzige Dinge zu sagen, Improvisation zu zeigen, Sympathie zu vermitteln – das ist ebenfalls ein Talent von mir und ich liebe es, spontan zu sein.
Salvador Dali war ebenfalls ein grosser Kommunikator – du warst für viele Jahre seine Muse und Wegbegleiterin – hast du dein Kommunikationstalent von ihm gelernt?
Das steht fest! Der Umgang mit Dali war für mich wie eine Kommunikationsschule. Er wusste genau, wie er seinen «Salat» verkaufen und seine Botschaften wirkungsvoll platzieren konnte. Für mich, die ich sehr schüchtern war und mich nicht gut ausdrücken konnte, war er wie ein Lehrer, der mir beibrachte, wie man die Werbung für sich nutzt und Leute dazu bringt, über dich zu sprechen.
Wie wichtig ist für dich das Malen?
Ich male sehr gerne, für mich ist es nicht nur eine Beschäftigung, sondern auch eine Therapie. In meinem Beruf trifft man oft auf Frustration und Erbitterung – die Malerei hilft mir, mein inneres Gleichgewicht zu finden und den Psychoanalysten zu vermeiden (lacht).
Da du gerade die Psychologie ansprichst: In deinen Porträts von Dali stechen immer wieder seine Augen hervor – warum ist das so?
Weil Dalis Augen mir Angst machen (lacht). Vor Publikum oder Journalisten redete er sehr laut und fing dann an seine Augen wie in einem Horrorfilm zu verdrehen – das erschreckte alle. Privat war er sehr charmant und liebenswert. Aber diese Augen … sie hatten etwas wirklich Erschreckendes an sich.
Was denkst du über die KI, die Künstliche Intelligenz – werden wir in Zukunft nur noch Kunstwerke sehen, die von Maschinen zumindest mitgeschaffen sind?
Das macht mir Angst. Ich denke, das Problem mit der künstlichen Intelligenz ist die Perfektion. Die Kunst ist aber nicht perfekt, sie soll es auch nicht sein! Die schönste Skulptur von Michelangelo ist nicht perfekt. Es gibt immer eine Kleinigkeit, die dem Menschen misslingt. Genau das macht die Kunst aus, dieses menschlich ungenaue und spontane, die Imperfektion des Handwerks. Salvador Dali sagte immer «Strebe nicht nach Perfektion, du wirst sie nie erreichen».
Der Impressionist Cezanne hingegen hat gesagt: «Alles lässt sich darin zusammenfassen: Empfindungen haben und die Natur lesen». Welche Bedeutung hat die Natur für dich, für deine Kunst?
Eine ganz grosse! Gott hat eine so aussergewöhnlich schöne Natur geschaffen, doch die Menschen sind sich dessen nicht genug bewusst. Wenn man heute von Ökologie spricht, um diese Natur zu schützen und zu erhalten, ist das wirklich sehr wichtig. Seit ich in der Provence lebe, inspiriert mich die Natur mit jedem Tag mehr. In einer Stadt, wie zum Beispiel Paris, könnte ich nicht malen.
Du hast eine kleine Aufmerksamkeit mitgebracht, ein Porträt von Nemo, dem diesjährigen ESC-Sieger aus der Schweiz. Was inspiriert dich an Nemo?
Vor allem seine Stimme. Doch das grosse Problem war, als wir sein Auftritt im Fernsehen gesehen haben, dass man uns den Text seines Liedes nicht erklärt hat – also haben viele Leute nur die Performance gesehen und sagten dann: Olala, das ist schockierend! Doch wenn man versteht, worüber Nemo spricht, was die Botschaft ist, die er versucht zu vermitteln, ist das schon sehr wichtig. Diesen Mut zu haben, hinzustehen und die «Codes» zu brechen, das hat mir imponiert!
Jetzt kommt der Eurovision Song Contest nächstes Jahr in die Schweiz. Eine Chance?
Das ist sicher eine Chance – aber auch sehr teuer (lacht). Kommt Nemo nicht aus Bern?
Ja, aus Biel, im Kanton Bern…
Dann könnte der Contest vielleicht in Bern stattfinden … es ist ein «Challange», so wie in Paris die Olympischen Spiele.
Kennt man uns Schweizer im Ausland?
Man kennt euch schlecht, denkt sofort an Geld und Schokolade und dabei gäbe es eine ganze Kultur und Geschichte der Schweiz, die strahlen sollte. Andererseits haben die Schweizer eine sehr gastfreundliche, ansprechende Seite… ich weiss nicht, ob es aufrichtig gemeint ist, aber auf jeden Fall lassen sie dich wissen, dass sie sich freuen, wenn du zu ihnen kommst, in die Schweiz – auch wenn das jetzt nicht unbedingt eine grosse Leistung ist, hierher zu kommen (lacht).
Wenn du ein Bild von der Schweiz malen müsstest, wie würde dieses Aussehen?
Wenn ich an die Schweiz denke, denke ich zuerst an die Gesundheit – die Schweizer sind sehr stolz auf ihr rotes Kreuz, für mich ist es das Symbol der Gesundheit, hier gibt es herausragende Kliniken und Ärzte, also ist es die Gesundheit die ich als Thema wählen würde, etwas was mit Wohlbefinden zu tun hat – übrigens sind alle Schweizer, die ich treffe, ziemlich gesund, sportlich und fit!
Und zum Schluss: Welche Frage darf ich dir beantworten?
Amanda: Vergnügen sich die Leute genug in der Schweiz? Ich habe nämlich den Eindruck, dass die Schweizer nicht gerade sehr vergnügungsfreudig sind (lacht).
Claudio: Ich habe einmal scherzhaft gesagt, Bern sei ein wenig wie Disneyland, öffne um 8 Uhr morgens und schliesse wieder um 18 Uhr abends. Unser Wesen ist aber nur scheinbar zurückhaltend, denn wir können in der Schweiz schon auch richtig feiern – ich glaube, es gibt auch kein anderes Land in Europa mit so vielen Musikfestivals und Openairs wie in der Schweiz. Und jetzt sind wir – Nemo sei Dank! – bald auch noch Austragungsland für den Eurovision Song Contest – die Stimmung steigt also weiter (lacht).
PERSÖNLICH
Amanda Lear ist Sängerin, Malerin, Theaterschauspielerin, Moderatorin und Autorin. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre als Disco-Queen mit Hits wie «Follow me» oder «The Queen of Chinatown» bekannt. Sie war mit Salvador Dali eng befreundet und galt als seine Muse. In den 1980er- und 1990er-Jahre moderierte sie Fernsehshows in Italien, Frankreich und Deutschland. 2006 erhielt sie vom französischen Kulturministerium den Orden «Chevalier dans l’Ordre National des Arts et des Lettres», der offiziell am 16. Januar 2007 verliehen wurde.
Aktuell stellt Amanda Lear ihre Werke noch bis zum 15. Juni 2024 in Basel aus: bubblyfactory.ch
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